Auf hundert Rädern übern Brenner
Am Entschluss, mit der Bahn nach Venedig zu fahren, ist Greta T. aus S. nicht ganz unschuldig. Ich habe die Reise gebucht in der Zeit, als die Diskussion ums Fliegen so richtig angeheizt war.
Da ich beruflich auch viel mit der Bahn unterwegs bin und das Glück habe, in Esslingen nur 10 Fusswegminuten vom S-Bahnhof zu wohnen, ist mir die Entscheidung nicht schwer gefallen.

Mit wenig Verspätung starte ich in Oberesslingen mit der kleinsten Zuggattung und steigere das dann über einen Intercity bis zum Eurocity.
Die erste größere Teilstrecke führt von Plochingen über Ulm nach München. Am Albaufstieg bei Geisligen habe ich fast Mitleid mit dem Lokführer und kann ein wenig verstehen, warum die Bahn eine Neubaustrecke baut. Bei gutem Wetter mag dieser Abschnitt ja imposant sein, effizient ist die Strecke sicher nicht.

Beim Halt in Ulm wird so manche Erinnerung an Heikes Wirkungsstätte wach.

Ab München hat das Abteil nur vier Sitzplätze und mehr Beinfreiheit, was das Reisen in der ersten Klasse sehr bequem macht. Ich sitze im letzten Wagen und kann somit auch hinten zum Fenster raus schauen.

Die Fahrt durch Österreich ist immer noch durch trübes Wetter bestimmt. Bei der Ausfahrt aus Innsbruck kann ich für einen Moment den gewaltigen Kopf der Sprungschanze Bergisel sehen, die wir vor vielen Jahren als Familie besichtigten.

Der Versuch, ein gutes Foto von der Brennerautobahn zu bekommen, die wir vielfach begleiten und kreuzen, scheitert fast, weil sich ständig Büsche und Bäume dazwischen schieben. Das menschliche Auge kann die Eindrücke immer noch am besten aufnehmen. Ab dem Brennerpass sind wir in Italien und ab da wird auch das Wetter besser.
Durch die Zeitumstellung ist in der letzten Stunde nicht mehr klar, ob wir gerade durch einen Tunnel fahren oder ob es schon Nacht ist. Zeit, etwas die Augen zu schließen.

Der vorletzte Halt ist schon in Venedig auf dem Festland. Mir war nicht klar, dass der größte Teil von Venedig eine ganz normale Großstadt ist und das was ich mir unter Venedig vorgestellt habe, "nur" die Altstadt auf einer Insel. Am Endbahnhof angekommen bin ich noch lange nicht am Ziel. Vorsorglich und auf Anraten aller Reiseführer hatte ich mir online ein Mehrtagesticket für den Wasserbus "Vaporetto" bestellt. Der Automat zum Einlösen des Gutscheins per Barcode ist schnell gefunden, allerdings kommt kein Ticket aus dem Automat. Liegt an mir, bin vermutlich zu aufgeregt um den Automaten zu verstehen. Eine etwas genervte Italienerin am Schalter hilft mir, ich komme zu meinem Ticket, alle Aufregung ist umsonst.
Meine erste Fahrt mit dem (der?) Vaporetto führt mich nicht wie erwartet durch den Canale Grande sondern an den Kreuzfahrtschiffen vorbei außen herum nach San Marco zum Markusplatz. Ich lerne dazu und bin ja noch ein paar Tage da und kann das mehrfach nachholen.

Das Hotel liegt in einer Gasse die so schmal ist, dass in Deutschland eine Touristenattraktion daraus entstehen würde. Entsprechend schmal ist auch das Hotel. Mein Badezimmer ist größer als das eigentliche Zimmer. Für mich völlig ausreichend. Ich gehe nochmal raus in die laue Herbstnacht um in einem Stehimbiss ein Stück leckere Pizza zu essen und mache mich dann auf, den ersten Tag zu erzählen.
Dass ich in Oberesslingen mit meinem großen Gepäck den falschen Aufzug genommen hatte, im Intercity die Sitzplatzreservierung falsch war, in München der Geldautomat streikte und ich ab Innsbruck eine etwas nervige Familie aus GB im Abteil hatte, verschwindet hinter der Dankbarkeit, diese Reise machen zu können und jetzt in Venedig zu sein. Da ich leichte Kopfschmerzen habe, gehe ich jetzt auch gleich ins Bett.